„Den Siechen wachet ich Tag und Nacht …“
In Herrenberg, wie in vielen anderen Städten Westeuropas, hatten sich im Spätmittelalter fromme Frauen in einer Gemeinschaft zusammen gefunden. Die Beginen gehörten keinem Orden an. Sie lebten nach eigenen Keuschheits- und Armutsgelübden. Unter Leitung einer Mutter wohnten mehrere Frauen zusammen in einem Haus. Die Beginen, genannt „Schwestern der Grauen Sammlung“, waren sowohl für die Kirche tätig, so bei der Hostienbäckerei und der Pflege der Paramente (Tücher für den Altar), zum anderen für die Versorgung von Kranken, Armen und Sterbenden.
Seit 1489 wissen wir sicher von den Beginen in Herrenberg. Es liegen Dokumente vor, dass sich die Stadt an den Baukosten für ein Beginenhaus beteiligt hatte. 1568 kam das Aus für die Gemeinschaft: Herzog Christoph von Württemberg persönlich sprach das Haus der Stadt Herrenberg zur Nutzung als Lateinschule zu. Die Beginen weigerten sich jedoch, das Haus aufzugeben. Erst einige Jahre später haben die letzten Frauen das Haus verlassen und verbrachten ihren Lebensabend im Spital, „… mit eigenem Gemach, Essen und Trinken warm und kalt“.
Ein alternativer Lebensentwurf für Frauen
Das Leben als Begine war für Frauen im Spätmittelalter ein alternativer Lebensentwurf. So konnten allein stehende Frauen, ledig oder verwitwet, ein Leben außerhalb der Kontrolle der von Männern dominierten Gesellschaft führen. Im Beginenhaus wurden im Unterschied zum Kloster auch Frauen aufgenommen, die über kein Vermögen verfügten. Das Leben in der Gemeinschaft bot den Frauen Schutz und Beginen waren in der Regel in der Bevölkerung sehr angesehen. Für eine Begine war es möglich, die Gemeinschaft wieder zu verlassen.
In der Herrenberger Stiftskirche findet sich am Chorgestühl eine Abbildung einer Frau im Habit. Ob es sich dabei wohl um die Darstellung einer Begine, vielleicht sogar der Mutter der Herrenberger Gemeinschaft handelt?
Beitrag von Illja Widmann für die Broschüre „FrauenWege“ (Herrenberg 2008), Station 2: Beginenhaus bei der Stiftskirche.