„Zeigen, wie Frauen mit und neben Männern für die Freiheit, nicht nur ihres Geschlechts, sondern auch für die Freiheit ihres Volkes, ja der ganzen Menschheit eingetreten sind“
Am 27. April vor 88 Jahren starb Anna Blos, eine unermüdliche Kämpferin für Frauenrechte und eine Pionierin der Frauengeschichtsforschung. 1919 war sie die einzige Frau, die aus Württemberg in den deutschen Reichstag einzog, als eine von insgesamt 37 weiblichen Abgeordneten bzw. eine der 19 Frauen der SPD-Fraktion.
Anna Berta Antonia Tomasczewska wurde am 4. August 1866 in Liegnitz (Niederschlesien) in eine wohlhabende Familie des Bildungsbürgertums hineingeboren. Aufgrund des Berufs ihres Vaters musste die Familie häufig umziehen. Eine der Stationen war Karslruhe. Dort besuchte Anna die höhere Töchterschule und nach einem kurzen Aufenthalt in London auch das erste Seminar für die Ausbildung von Lehrerinnen an Volks-, mittleren und höheren Schulen. Das war eine ideale Vorbereitung auf eine der typischen Erwerbsmöglichkeiten für bürgerliche Frauen.
Ausbildung zur Oberlehrerin und Studium in Berlin
Um die Ausbildung zur Lehrerin zu vertiefen, wechselte Anna Blos ans Oberlehrerinnen-Seminar des Prinz-Wilhelm-Stifts in Berlin. Als Oberlehrerin war es möglich, eine Ausnahmengenehmigung zum Studieren zu erhalten. Von dieser Möglichkeit machte auch Anna Blos Gebrauch und studierte von 1885 bis 1890 Geschichte, Literatur und Sprachen an der Humboldt-Universität.
1905 gab die fast 40-jährige Lehrerin und in der bürgerlichen Frauenbewegung engagierte ihr „Junggesellinnen-Dasein“ auf und heiratete den deutlich älteren Sozialdemokraten Wilhelm Blos. Stuttgart wurde ihr neuer Lebensmittelpunkt.
Journalistin und erste Ortsschulrätin in Stuttgart
Ihr Interesse an der Geschichte der Frauen, ihr Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und der Austausch mit Menschen aus dem linkspolitisch orientierten Umfeld in Stuttgart führten – neben der Ehe mit einem gestandenen Sozialdemokraten – dazu, dass Anna Blos in die SPD eintrat und sich stärker der proletarischen Frauenbewegung zuwandte. Als Journalistin schrieb sie Artikel für die sozialistische „Schwäbische Tagwacht“, für die von Clara Zetkin herausgegebene Zeitschrift „Die Gleichheit“ und viele andere Zeitungen und Zeitschriften. Außerdem gab sie kostenlose Kurse in Rechtschreibung und Stilistik für die Jugendgruppen die SPD.
1910 wurde Anna Blos als erste Frau im deutschen Reich Ortsschulrätin in Stuttgart. Der Ortsschulrat war ein Gremium, das den Gemeinderat in schulpolitischen Fragen beriet. Dass mit Anna Blos eine Sozialdemokratin in dieses Gremium berufen wurde, zeigt das liberale Klima, das in Württemberg im Vergleich zu Preußen herrschte. Dieses Amt wollte sie nutzen, um bessere Bildungschancen für Arbeiterkinder zu erreichen. Während des Ersten Weltkrieges engagierte sie sich für die
Einrichtung von Kinderküchen, die von den Kommunen finanziert wurden.
Kämpferin für Frauenrechte und Reichstagsabgeordnete
Als Frauenrechtlerin und überzeugte Verfechterin des Frauenwahlrechts engagierte sich Anna Blos
als Führungskraft im „Württembergischen Verein für Frauenstimmrecht“, obwohl dieser Verein eher zur bügerlichen Frauenbewegung gehörte. Sie appellierte an die Frauen
ihrer Zeit, politische Verantwortung zu fordern und zu übernehmen. 1918 gründete sie in den „Verband der Stuttgarter Hausfrauen“ und wurde dessen Vorsitzende. Nach der Proklamation des Frauenwahlrechts im November 1918 engagierte sie sich im „Propagandaausschuss zur Aufklärung über das Frauenwahlrecht“, in dem Frauen der der (gemäßigt) sozialdemokratischen und der bürgerlichen Frauenbewegung, z. B. Thekla Kauffmann, zusammenarbeiteten.
Bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung am 19. Januar 1919 kandidierte Anna Blos im Wahlbezirk Württemberg-Hohenzollern für die SPD und war am Ende die einzige Frau, welcher der Einzug ins nationale Parlament gelang. Eine Station im Wahlkampf war Sindelfingen, wo sie im Dezember 1918 eine Rede zum Thema „Was hat die Revolution den Frauen gebracht?“ hielt.
Pionierin der Frauengeschichtsforschung
In ihren letzten Lebensjahren widmete sich Anna Blos verstärkt der Erforschung der weiblichen Kulturgeschichte des
19. und 20. Jahrhunderts. Ihr Ziel war es, die Rolle der Frauen zu überarbeiten, neu zu bewerten und vor dem Vergessen zu bewahren. Dabei wollte sie „nachdrücklich zeigen, wie
Frauen mit und neben den Männern (…) für das höchste
Ideal der Menschheit, für die Freiheit, nicht nur ihres
Geschlechts, sondern auch für die Freiheit ihres Volkes,
ja der ganzen Menschheit“ eingetreten sind. Diese Tradition sollte
von den Frauen ihrer eigenen Zeit bewusst fortgesetzt werden. Daher warnte Anna Blos ihre Zeitgenossinnen wiederholt davor, die hart erkämpfte politische Mitwirkung aufzugeben – nicht zuletzt angesichts der aufscheinenden nationalsozialistischen Gefahr.
Am 27. April 1933 ist Anna Blos im Alter von 66 Jahren an Krebs gestorben. Sie wurde auf dem Stuttgarter Pragfriedhof im Grab ihres Mannes beerdigt. Da das Grab von Wilhelm Blos ein Ehrengrab ist, kann ihre letzte Ruhestätte bis heute besucht werden.
In Stuttgart, Mühlacker und Weinstadt wurden Straßen nach ihr benannt. Seit 2011 erinnert eine Gedenktafel an ihrem ehemaligen Wohnhaus in Stuttgart-Bad Cannstatt (Wiesbadener Straße 3) an Wilhelm und Anna Blos.
Originalbeitrag von Helen Schelling und Claudia Nowak-Walz für die Internetseite der Frauengeschichtswerkstatt Herrenberg
URL: https://frauengeschichtswerkstatt-herrenberg.de/anna-blos/