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Marie Gerlach (1863–1945)

„Die Armen, Waisen und Notleidenden in rührender Weise angenommen“
Auschnitt aus dem Gemeinderatsprotokoll vom 30. Mai 1919 mit der Unterschrift von Marie Gerlach.
Mit ihrer Unterschrift im Gemeinderatsprotokoll vom 30. Mai 1919 erklärte Marie Gerlach, dass sie die Wahl annahm. Quelle: Stadtarchiv Herrenberg.

Marie Gerlach ist die erste Frau, die in Herrenberg erfolgreich für den Gemeinderat kandidierte. Von 1919 bis 1922 bestimmte sie die Lokalpolitik ihrer Heimatstadt aktiv mit. Sie war Mitglied des örtlichen Milchausschusses und „Vertrauensperson in den Angelegenheiten des Gemeindewaisenrats“.

Herkunft und Werdegang
Das auf dem Foto abgebildete Haus ist das Elternhaus von Marie Gerlach. Auf dem Haus befindet sich die Aufschrift: Karl Gerlach Rotgerberei.
Aufnahme von Marie Gerlachs Elternhaus in der Seestraße 5, in dem sie bis zu dessen Zerstörung im Januar 1945 lebte. Stadtarchiv Herrenberg, Signatur: S 117 3414.

Marie Gerlach kam am 26. März 1863 als siebtes Kind des Rotgerbers Carl Gottlob Gerlach und seiner zweiten Ehefrau Christina Rosina geb. Wörner in Herrenberg zur Welt. Sie blieb ledig und unterstützte ihren Bruder Karl, der den Betrieb des Vaters übernommen hatte, und dessen Frau Friederike im Haushalt, bei der Betreuung der acht Kinder und bei der Pflege der Eltern. Neben dieser Tätigkeit engagierte sie sich ehrenamtlich, vor allem in der evangelischen Kirchengemeinde.

Die Rotgerberfamilie Gerlach war eine alteingesessene Herrenberger Familie, die sich aktiv an der Stadtpolitik beteiligte. Karl Gerlach gehörte dem Gemeinderat bzw. dem Bürgerausschuss bis zu den Wahlen im Mai 1919 an. Marie Gerlach sammelte als Mitglied der „Kommission zur Kriegswohlfahrtspflege“ seit März 1915 erste Erfahrungen in der Arbeit der Stadtverwaltung. Man kann davon ausgehen, dass die DDP sie als Kandidatin anwarb, weil sie eine geachtete und geschätzte Persönlichkeit war. Das Wahlergebnis – mit 609 Stimmen erzielt sie das fünftbeste Ergebnis der Kandidierenden der DDP und das zehntbeste Ergebnis insgesamt – bestätigt dies.

Verteidigung des Mandats gelang nicht

Trotz ihres Ansehens, guter Einarbeitung in „alle Zweige der Verwaltung“ und großen Engagements für „die Armen, Waisen und Notleidenden“ glückte es der inzwischen 59-Jährigen nicht, ihr Mandat zu verteidigen. Bei den Wahlen am 17. Dezember 1922 erzielte Marie Gerlach mit 411 Stimmen das schlechteste Ergebnis aller Kandidierenden der DDP.  Ende 1922 schied sie aus dem Gemeinderat aus.

Damit folgte Herrenberg dem allgemeinen Trend. Auf den ersten „Hype“ nach der Einführung des Frauenwahlrechts folgte die Ernüchterung. Wurden Frauen 1919 als Wählerinnen und Kandidatinnen noch massiv umworben, hatten sie es in den Folgejahren immer schwerer, aussichtsreiche Listenplätze zu erhalten und Abgeordnetenmandate zu erringen. Im württembergischen Landtag sank die Anzahl der weiblichen Abgeordneten mit jeder Wahl. Im Jahr 1919 waren 13 Abgeordnete von 150 weiblich, 1920 waren es noch fünf, 1930 nur noch drei.

Im Herrenberger Rathaus tagt der Gemeinderat, dem 1919 bis 1922 mit Marie Gerlach erstmals eine Frau angehörte.
Nach Marie Gerlachs Ausscheiden aus dem Gemeinderat dauerte bis 1951, bis wieder Frauen ins Herrenberger Rathaus einzogen.

Nach 1922 waren in Herrenberg die Wahllisten zum Gemeinderat wieder ausschließlich mit Männern besetzt. Marie Gerlach blieb nicht nur bis zum Ende der Weimarer Republik im Jahr 1933, sondern bis 1950 die einzige Frau, die je in den Herrenberger Gemeinderat gewählt wurde. Das änderte sich erst, als 1951 mit Lina Link und Olga Ressel gleich zwei Frauen in das Gremium einzogen.

Nach dem Ausscheiden aus dem Gemeinderat lebte Marie Gerlach weiterhin mit der Familie ihres Bruders in der Seestraße 5. Im Januar 1945 zog sie zu ihrer Nichte Lydia Widmaier in die Alzentalstraße 22. Marie Gerlach starb am 19. September 1945 im Alter von 82 Jahren.


Originalbeitrag von Claudia Nowak-Walz für die Internetseite der Frauengeschichtswerkstatt Herrenberg, September 2025
URL: https://frauengeschichtswerkstatt-herrenberg.de/marie-gerlach/

Ein ausführlicheres Porträt von Marie Gerlach finden Sie in Frauen gestalten Herrenberg 2 (S. 155-166).

Marie Gerlach gehörte zu den Frauen, welche die Frauengeschichtswerkstatt in ihrer Veranstaltung zum 100. Jubiläum des Frauenwahlrechts vorstellte.

Wir danken dem Stadtarchiv Herrenberg für die freundliche Genehmigung, die Fotos aus dem Gemeinderatsprotokoll und von Marie Gerlachs Elternhaus in diesem Beitrag zu verwenden.

FGW mit Landespreis für Heimatforschung ausgezeichnet

Buch „Frauen gestalten Herrenberg“ überzeugte die Jury

Im April 2014 stellte die Frauengeschichtswerkstatt (FGW) das Buch „Frauen gestalten Herrenberg“ der Öffentlichkeit vor. Nun wurde die ehrenamtlich tätige Gruppe für ihr Werk mit dem zweiten Preis des Landespreises für Heimatforschung Baden-Württemberg 2016 ausgezeichnet. Die Preisverleihung fand am 17. November 2016 im Rahmen der Heimattage Baden-Württemberg in Bad Mergentheim statt.

Begleitet von Bürgermeisterin Gabrielle Getzeny (Vierte von links) und der Gleichstellungsbeauftragten Birgit Kruckenberg-Link (Dritte von links) nahmen neun Vertreterinnen der FGW die Auszeichnung von Dr. Claudia Rose, Leiterin der Abteilung Kunst im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (Bildmitte), entgegen. Im Publikum saßen Partner und Freundinnen sowie einige Angehörige der im Buch porträtierten Frauen bzw. Frauengruppen, die mit der FGW nach Bad Mergentheim gereist waren.

Über den Landespreis für Heimatforschung

Der Landespreis für Heimatforschung wird seit 1981 verliehen. Ausgezeichnet werden „beispielhaft Leistungen auf dem Gebiet der ehrenamtlichen Heimatforschung, die nicht im Zusammenhang mit einer wissenschaftlichen Ausbildung oder darauf aufbauenden beruflichen Tätigkeit entstanden sind“. Die Werke der PreisträgerInnen werden im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart dokumentiert und archiviert.

Im Buch „Frauen gestalten Herrenberg“ präsentiert die FGW erste Ergebnisse des Projekts „Herrenbergerinnen des 20. Jahrhunderts“. Es enthält acht Porträts von Frauen und Frauengruppen, die in den Bereichen Politik (Lina Link, Luise Schöffel, Initiative „Frauen für den Schutz des Lebens“), Bildung (Felicitas Pflug, Lehrerinnen der Frauenarbeitsschule, u. a. Mathilde Rothenstein und Gertrud Krauß, Ruth Petry), Kultur (Maria Eipper-Hoffmann) und Sport (die ersten Turnerinnen im VfL Herrenberg) tätig waren. Ein Folgeband ist geplant.

Statt einer Laudatio gab es  über jede Preisträgerin/jeden Preisträger einen dreiminütigen Film. Link zum Film über die Frauengeschichtswerkstatt

Das Buch „Frauen gestalten Herrenberg“ (ISBN 978-3-89376-163-0) ist in den Herrenberger Buchhandlungen sowie beim Talheimer Verlag (www.talheimer.de) erhältlich.